Fotos von Pixabay. Vielen Dank an Ben Kerckx, Ende McLarnon und Paolo Trabbatoni


Wer sich nicht (mehr) an den Konflikt, der eigentlich ein Bürgerkrieg war, erinnert, der kann hier mal nachgucken:


Anna Burns: Milchmann

(...) trotz aller Waffengefechte und Bombenanschläge, Konflikte und Krawalle, spazierte ich mit einem Buch in der Hand nach Hause. Immer nur mit Büchern aus dem neunzehnten Jahrhundert, Bücher aus dem zwanzigsten Jahrhundert mochte ich nicht, weil ich das zwanzigste Jahrhundert nicht mochte.

Dieses kurze Zitat aus MILCHMANN von Anna Burns leitet keine Dystopie ein. Es geht auch nicht um eine Zeitreisende oder um eine Bücherwanderin, wenn sich die Ich-Erzählerin gedanklich zwanzig Jahre zurückversetzt. Dann spricht sie über die Auswirkungen des Nordirland-Konflikts. Dieser umfasste die Zeit von 1969 bis 1998. Wer an irgendeiner Stelle damit zu tun hatte, erinnert sich bis heute an Autobomben und Straßenkämpfe, an IRA und Hungerstreiks, an Katholiken und Protestanten im Krieg, an Terror.

Meine Stadt war britische Garnisonsstadt bis 2008, die größte Garnisonsstadt außerhalb der britischen Inseln. In dem Stadtteil, in dem ich wohnte und heute wieder wohne, gab es mehrere britische Kasernen. Mit den britischen Offiziersfamilien wohnten wir Straßenzug an Straßenzug.

Wenn ich morgens früh zur Schule und dann zur Uni fuhr, sah ich die Männer, wie sie mit langen Spiegeln und Taschenlampen unter ihre Autos leuchteten, um sicherzustellen, dass keine Bombe darunter befestigt war.

Zweimal knallte es bei uns: Im Juni 1989 traf der Wachmann eines Tiefbauunternehmens auf dem Gelände der britischen Kaserne auf einen Froschmann im Kampfschwimmeranzug. Der Froschmann schoss, zum Glück daneben. Kurz darauf detoniert eine 150 kg-Bombe. Sie richtet nur Sachschaden an. Es werden weitere Bomben gefunden.

Bald stellt sich heraus: Der Anschlag geht auf das Konto der PIRA, einer Abspaltung der IRA. Es ist die Zeit der sogenannten dritten Terrorwelle zwischen 1987 und 1990.

Im Jahr 1996 besuchte ich gerade das Grab meines Vaters - wenige hundert Meter Luftlinie zur britischen Kaserne - als es erneut krachte. Von der Ladefläche eines vor dem Tor der Kaserne abgestellten Lieferwagens waren drei Mörsergranaten abgefeuert worden, von denen nur eine zündete. Zum Glück - wieder nur Sachschaden.

Die britische Garnison ist Geschichte. Die Kaserne ist abgerissen. Auf dem Gelände entstehen Wohnungen und ein Einkaufsmarkt. Ein erneuter Nordirland-Konflikt wird mich höchstwahrscheinlich nicht wieder beschäftigen müssen. Alles weit weg.

Im Umfeld des Brexit war viel die Rede vom sogenannten Backstop für Nordirland. Das Karfreitagsabkommen von 1998, das der Region den Frieden gebracht hat, soll trotz Brexit unbedingt seine Geltung behalten. Es soll zwischen Irland und Nordirland eine Grüne Grenze geben.

Es ist sehr zu hoffen, dass Anna Burns einfach nur eine düstere Vergangenheit beschreibt, die die Zukunft nie wieder berührt.

Auf den Roman bin ich jetzt sehr gespannt. Denn wie sich das alles angefühlt haben muss, wenn ein junges Mädchen da mittendrin war, kann ich mir gar nicht nicht ausmalen. 

© 2022 Elisabeth Mayer. Alle Rechte vorbehalten.
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