#21für21:7 Jonathan Coe | Die ungeheuerliche Einsamkeit des Maxwell Sim

26.04.2021

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DVA München 2010. Übersetzt von Walters Ahlers. Im Original: The Terrible Privacy of Maxwell Sim.

Kennen Sie Donald Crowhurst? Es ist sein Trimaran Teignmouth Electron, der oben rechts auf dem Foto zu sehen ist. Das Boot - bzw. was davon übrig ist, liegt heute noch trocken auf einer der Cayman Inseln. Von Donald Crowhurst fehlt bis heute jede Spur.

Er war der Unglückliche, der sich im Jahr 1968 als letzter auf das Wasser wagte, um als erster Einhandsegler nonstop das Golden Globe Rennen (veranstaltet von der Sunday Times) zu gewinnen. Man konnte eine Trophäe gewinnen, vor allem aber 5.000 Pfund, ein bisschen mehr wäre das heute in Euro - nach damaliger Kaufkraft aber etwa das Zehnfache.

Crowhurst, ein britischer Geschäftsmann, quasi bankrott,  war ein Freizeitsegler, der noch nie eine größere Tour auf einem Segelboot unternommen hatte. Nun sollte es also direkt die Weltreise sein, rund um die drei großen Kaps. Auch heute als Vendee Globe eine Herkulesaufgabe für erfahrene Einhandsegler.

Die Finanzierung stand stets auf wackeligen Beinen. Crowhurst hatte buchstäblich in letzter Minute einen Geldgeber gefunden, der sich jedoch als Sicherheit eine Hypothek auf das Haus der Familie eintragen ließ und vertraglich vereinbarte, dass Crowhursts Firma das Boot kaufen müsse, wenn das Rennen nicht angetreten oder vorzeitig abgebrochen würde. Ein Deal mit dem Teufel.

Aber Crowhursts Idee war es, das Rennen zu gewinnen und anschließend die Produkte seines Unternehmens besser verkaufen und mit dem Preisgeld und den zu erwartenden Einnahmen aus Buch- und Werbeverträgen endlich seine Schulden abtragen zu können. Schließlich hatte er Frau und vier Kinder zu versorgen.

Die Geschichte ist schnell zu Ende erzählt. Natürlich war der Trimaran, der nach Crowhursts eigenen Plänen gebaut worden war, nicht hochseetauglich, ebenso wenig wie sein Kapitän.

Als Crowhurst das merkte, verfiel er aufs Betrügen. 1968 gab es wenig, was das Segeln und das Orientieren hätte erleichtern können. Der Computer, der das neueste Ding zum sicheren Sieg gewesen wäre, und das neuerfundene Wiederaufrichtsystem des Schiffs waren nach überhastetem Aufbruch gar nicht angeschlossen worden. Aber natürlich gab auch kein GPS. Niemand konnte Crowhurst  auf dem Ozean orten.

So dachte er sich aus, an welchem Punkt der Tour er nach gelungenem Verlauf hätte gewesen sein können, betrieb doppelte Logbuchführung und hoffte, sich  den Heimkehrenden unbemerkt anschließen zu können.

Das Ganze ging nicht gut. Er verfing sich in seinen Berechnungen, der Einsamkeit und den trüben Gedanken - und beging Selbstmord.  Wohl weil man ihm mitteilte, dass er tatsächlich das Preisgeld gewinnen würde. Denn von den neun Startern war vor ihm nur einer ins Ziel gekommen - und der war lange vor ihm aufgebrochen. Der Teufel hatte den Deal gewonnen. Mit seinem falschen Logbuch wäre er als Betrüger enttarnt.

Über den echten Gewinner, Robin Knox-Johnston, ist  zu sagen, dass er das gewonnene Preisgeld an Crowhursts Witwe und seine Kinder spendete. Ein wahrer Held der eine - der andere ein wahrer Betrüger.

Diese Geschichte muss man kennen (gerne auch den Dokumentarfilm (!) Deep Water anschauen), wenn man so richtig tief in den Roman des britischen Autors, Jonathan Coe, versinken möchte, um den es hier eigentlich geht.

Denn rund um die eigenartige Geschichte von Crowhurst strickt er einen wahrhaft entzückenden und trickreichen Familienroman um die Einsamkeit. Sein Romanheld Maxwell muss am Valentinstag hinnehmen, dass ihn seine Frau samt Tocher verlässt. Er hat sonst kaum jemanden, seine Mutter ist gestorben, zum merkwürdig gefühlskargen Vater hat er eigentlich keine Beziehung. Seine 74 Facebook-Freunde sind auch keine echte Hilfe. Für ein halbes Jahr versinkt er in tiefste Depression. Dann kommt ein überraschendes Jobangebot, das ihn in einer Art Wettfahrt auf die Shetlandinseln bringen soll. Stattdessen aber bringt es ihn ganz und gar auf die eigene Spur.

Nein, ein Schelmenroman, wie der Verlag meinte, ist es nicht. Eigentlich ist er, wo er nicht Familienroman ist,  ganz und gar eine Kritik am Neoliberalismus. Das aber wollten die Leute im Jahr 2010 gar nicht lesen. Deshalb wohl gibt es diesen Roman inzwischen auch nur noch antiquarisch.

Wir, jetzt mitten in der Krise, müssen fühlen und wissen vieles besser. Wir haben gelernt, warum es wichtig ist, Güter vor Ort produzieren zu lassen - und nicht zu Billigstpreisen in Asien. Vor allem mussten auch wir lernen, mit der Einsamkeit umzugehen. Der Roman ist wie geschaffen für diese weltweite Krise.

Mein Tipp: Wenn Sie jetzt gebrauchte Bücher bestellen, fügen Sie "Die unglaubliche Einsamkeit des Maxwell Sim" Ihrem Einkauf hinzu. Sie werden es nicht bereuen.

© 2022 Elisabeth Mayer. Alle Rechte vorbehalten.
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