Alles besser!

25.02.2020


Cosima fühlt sich jetzt alleine den Gescheiterten, den Ausgestoßenen, den Außenseitern zugehörig. Unter anderen auch einem jungen "Dichter" aus dem Ort. Mit dem euphemistischen Namen Fortunio. Ein Junge mit steifem Bein, der sich auch an kein anderes Mädchen rantraut als an Cosima. Und wenn schon sonst nichts ist, dann knutschen die beiden wenigstens. Cosima mit schlechtem Gewissen, denn sie liebt den Co-Dichter nicht und würde ihn auch niemals heiraten. Natürlich werden die beiden erwischt:

Bis schließlich die ganze Sache ans Licht kam und eine neue Welle der Empörung bei all diesen anständigen Leuten im Dorf auslöste. Ah. Natürlich. Diese Cosima! Wer sonst wäre fähig, sich in derartige Abenteuer zu stürzen. Mit einem Krüppel!

Ihr Bruder Andrea droht gar öffentlich, dem Jungen mit einem Knüppel das andere Bein auch noch zu zertrümmern.

Und Cosima bekam eine so gehörige Tracht Prügel, als sollten ihr nicht nur sämtliche Glieder in Stücke geschlagen, sondern auch ihr Herz wie Salz im Mörser zerrieben werden.

Wenn sie es bis jetzt nicht wusste, nun ist ihr klar, dass sie "anders" ist als die Mädchen im Dorf, die alles "richtig" machen.

In der Ölmühle auf dem eigenen Stück Land hält sie sich nun vorwiegend auf und hört den Geschichten derer zu, die sich da versammeln:

Alkoholiker, wie ihr Bruder Santus, Brudermörder und sonstige arme Hunde:

(...) doch die biederen Bauern und kleinen Grundbesitzer, die ihre Oliven zum Auspressen brachten, hielten es nicht für unter ihrer Würde, sich zu ihnen ans Fenster zu setzen.

Richtig arm ging's da zu, unter anderem landeten auch Katzen als Fleisch im Ofen.

Cosima gewinnt eine neue Erkenntnis:

Denn das Leben gehört denen, die damit zufrieden sind und es nur einfach leben.

Und genau diese Leute will sie jetzt abbilden im Roman. Und deren Art zu leben macht ihr auch Mut, es nochmal zu versuchen, mit dem Leben als Schriftstellerin. Sie will jetzt aus dem Authentischen schöpfen. Und diesmal läuft alles anders:

Sie findet einen bekannten Verleger, ein großer Autorenkollege schreibt ein Vorwort. Ihr Thema ist die geheimnisvolle, fernabgelegene Heimat. Es geht wild zu, gleichzeitig naiv - und doch entschlossen.

Über Nacht war sie berühmt.

Sie verdient nun ein wenig Geld mit dem Verkauf des Romans - für neue Kleidung. Sie muss kein Öl mehr stehlen, um Porto und Packpapier kaufen zu können.

Und für das, was sie jetzt empfindet, steht der "Gefangenenchor" in der Oper Nabucco von Verdi, den sie hört, angeblich auf der Orgel im Gottesdienst gespielt:

Und alles, Licht, Klänge, Farben steigerte die strahlende Illusion von Cosima, die sich in eine phantastische Märchenwelt hinübergetragen fühlte.

Achtung!

Wer jetzt den Klang im Ohr hat   -  und den Text:

Flieg, Gedanke, getragen von Sehnsucht mit der Textzeile:

Teure Heimat, wann seh ich dich wieder,

der sei gewarnt!

In der Zeit des Nationalsozialismus war dieses Thema - aus der Geschichte des Volkes Israel - den Herrschenden natürlich ein Dorn im Auge.

Die Hebräer, die in Babylon gefangen sind, beklagen das ferne Heimatland und rufen Gott um Hilfe an. So steht es auch im originalen Textdruck: Dritter Teil, Szene IV, Ufer des Euphrat, Hebräer in Ketten und zur Arbeit gezwungen.

1940 schuf ein gewisser Julius Kapp eine "arisierte" Fassung, in der er an Stelle der Israeliten Ägypter auftreten ließ. Im Chor "Va, pensiero" ersetzte er den Jordan durch den Nil und Zion durch Memphis. Bis heute ist es in der Regel diese Version, die auf Schallplatten und im Internet kursiert.

Wenn also heute irgendwo Nabucco gehört wird. Achtung: Wer befindet sich da wo? Notfalls einschreiten - und aufklären.

Hier der korrekt übersetzte Text im Versmaß, zum Mitsingen (Verzeihung für den Ohrwurm):

Zieh, Gedanke, auf goldenen Schwingen,

Zieh und ruhe auf Fluren und Hügeln!

Lass die Sehnsucht den Lauf dir beflügeln

bis zu Zions Gebirge und Tal!

Grüß die Ufer des Jordans,

die schönen!

Zu dem Tempel des Herrn

mögst du dringen!

Ach, die Heimat, nach der wir uns sehnen,

grüß, Gedanke so süß und voll Qual

Goldne Harfe der göttlichen Seher,

Warum hängst du so stumm an der Weide?

Schenke Hoffnung und Trost uns im Leide

und erzähle von glorreicher Zeit.

Auch vom Schicksal geschlagner Hebräer

singe, Harfe, in klagenden Tönen.

Mit dem Willen des Herrn zu versöhnen,

schenk uns Hoffnung,

zu tragen dies Leid.

© 2022 Elisabeth Mayer. Alle Rechte vorbehalten.
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