Die chronische Pilotin

21.12.2019

Die chronische Pilotin

Morgens fühle ich mich wie die Pilotin eines Kleinflugzeugs. So wie diese ihr Flugzeug, inspiziere ich meinen Körper. Was für die Pilotin "Vorflugkontrolle" heißt, ist für mich die "Tageseinstiegskontrolle".

Für Wartung und Instandhaltung sind bei ihr Luftsportverein oder Vercharterer zuständig, bei mir machen das die Ärzte. Dass das so ist, heißt aber bei uns beiden nicht, dass wir die Checks einfach weglassen könnten.

Die Pilotin beginnt mit der Sichtprüfung. Alles fest? Beulen? Ungereimtheiten an Rumpf oder Flügeln? Das mache ich auch: Gibt es Verfärbungen am Körper? Ausschlag? Schwellungen?
Wir beide tun das, um eventuelle Strukturschäden aufzuspüren.

Die Pilotin schaut sich dann das Fahrwerk an. Ich auch. Was machen die Hüften, Knie, Sprunggelenke, Zehen? Alles beweglich, so dass ich sicher durch den Tag komme? Oder gibt es Versteifungen? Humpel ich? Kann ich eine Treppe runtergehen?

Ist das geklärt, wenden wir uns beide den Herzen unserer Maschinen zu: Luftfilter, Ölstand, Propeller, Treibstoff - gegen kurzen Lungentest mit dem Peak-Flow- und dem Oxymeter, Pulskontrolle sowie der Tabletteneinnahme und den Inhalatoren gegen Asthma. Dann die kurze Frage: Habe ich Appetit oder fühle ich mich krank?

Wo die Pilotin das Höhen-, Seiten- und Querruder sowie die Klappen ausprobiert, checke ich meine Schultern und meine Hände. Klappt das mit dem Greifen und Festhalten? Lassen die Schultern alle möglichen Bewegungen zu?

So gewinnen wir beide einen Überblick über die Funktionstüchtigkeiten unserer Systeme.

Gute Ärzte bringen einem bei, selbst Fachfrau/Fachmann für den eigenen Körper zu werden: "Sie haben die Erkrankung. Nicht ich", sollte ein guter Arzt sagen. Und: "Aber bitte erklären Sie sich nichts selbst. Wenn es eine Abweichung gibt, eine Störung. Etwas anders ist als sonst, zögern Sie nicht, sich in der Praxis vorzustellen. Damit wir das kontrollieren."

Privatpiloten haben eine Faustregel. Sie fragen sich selbst und mitfliegende Freunde, auf Basis der 100-Prozent-Regel nach dem persönlichen Wohlbefinden. Bei 100 Prozent ist alles gut und der Flug kann mit gutem Gefühl starten.

Chroniker werden wohl eher selten die geforderten 100% erreichen, auch wenn dies ein Ziel beispielsweise der modernen Behandlung sein soll: Remission. Die Krankheit zum Stillstand bringen. Trotzdem ist es gut, regelmäßig in sich hineinzuhorchen.
Dann kann man seinem Arzt auch gut antworten auf die Frage: "Wie geht es Ihnen?".

Ich wünsche uns chronischen Pilot*innen stets gute Starts und Happy Landings.

Das Foto stammt von Alejandro Tuzzi. Danke!

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