... die erste richtige Diagnose ist eine Erlösung

06.06.2020

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In Male Oscuro zu lesen ist in etwa wie in einem Schreibtisch herumzuschnüffeln auf der Suche nach interessantem Wissen über jemanden, den man noch nicht so genau kennt. 

Vor allem auch die Faksimiles tragen zu diesem Gefühl bei. Man betrachtet die Blätter, die Mehrzahl dankenswerterweise mit der Maschine geschrieben, mit zahlreichen Korrekturen versehen, manche fleckig. Man ahnt die Kämpfe, die die Autorin mit sich, ihrem Körper und der Welt ausgefochten hat.

Während der Lektüre von Male Oscuro lese ich auch in Malina  und im Schriftwechsel, den Ingeborg Bachmann mit Paul Celan geführt hat Herzzeit

Ich gehöre auf jeden Fall zu denen mit wenig Wissen über die Person Ingeborg Bachmann. Typischerweise wurde während meiner Schulzeit im Deutschunterricht eher Max Frisch gelesen. In meinem Regal befinden sich Homo Faber, Stiller, Mein Name sei Gantenbein und Montauk. Ingeborg Bachmann kam so vor, aber immer am Rand des Universums des großen Schweizers. Stets mit der Idee, dass er alleine die Schuld trug an ihrem Leid. Täter und Opfer. 

Ich hab erst jetzt unter der Beschäftigung mit Ingeborg Bachmann kapiert, dass Malina eine Antwort war auf Mein Name sei Gantenbein, eine Antwort die ganz und gar zersplittert daherkommt. 

Ich hatte die Idee, dass Ingeborg Bachmann in unseren Tagen vielleicht eine begeisterte Twitterin wäre, die ihre dunklen Gedanken gerne dieser kurzen Form anvertraut hätte, um dann die  Mittwitterer beim Entschlüsseln allein zu lassen.

Nun also mit Male Oscuro ein anderer Zugang zur Person der Dichterin, auch wenn Max Frisch hier ebenso präsent ist. Die eigentliche Krankheit war aber, glaube ich, schon vor ihm da.

In Herzzeit schreibt sie im September 1950, da ist sie 24 Jahre alt, an Paul Celan, der ja selbst tagein tagaus mit seiner Psyche kämpft:

Ich war in den vergangenen Wochen sehr krank; ein Nervenkollaps mit allen Begleiterscheinungen hat mich gelähmt und unfähig gemacht, richtig zu reagieren und etwas zu entscheiden. (...) 

Es ist die schwierige Zeit, nach dem die Promotion geschafft ist, ausgerechnet über Heidegger. 

Es wird lange dauern, wenigstens bis 1963/1964, nachdem sie mehrfach in einer 

tödlichen Panik 

war, 

jeden Tag drauf und dran Selbstmord zu machen,

bis sie ein Buch liest, bei Pieper erschienen Die Hoffnungen unserer Zeit mit dem Aufsatz wohl des deutschen Psychiaters Thure von Uexküll, der darin die Zusammenhänge zwischen "Angst" und "körperlichen Symptomen" offenlegt.

Nach zwei Jahren "physischer Krankheit" tauchte in mir der Verdacht auf, daß ich an etwas anderem leide. Ich war ja nicht krank - ich war nur krank aber ganz anders. 

Und niemand hatte mich je gefragt, warum ich leide, warum ich nachts aus dem Fenster springen wollte.

Es ist wohl das alte Leiden aus 1950. Es ist eine Psychose, eine Angstpsychose, die sie quält. Es ist nicht Vegetative Dystonie, wie es von den Ärzten abgerechnet wurde. Es kann nicht mit EKG und EEG entschlüsselt werden.


Ich habe einige Ärzte verschlissen, ich bin durch viele Behandlungen gegangen, aber die erste richtige Diagnose ist eine Erlösung.

Doch bei aller Krankheit, trotz aller Angst: Der unglaubliche schriftstellerische Erfolg dieser jungen Frau aus der österreichischen Provinz ist auch für heutige Verhältnisse atemberaubend. 

Im Mai 1953, da hat sie noch gar nichts veröffentlicht, gewinnt sie den Preis der Gruppe 47 für vier Gedichte aus Die gestundete Zeit, was erst später im Jahr erscheint. 1959 gewinnt sie den Hörspielpreis der Kriegsblinden für Der gute Gott von Manhattan. Was Paul Celan am 12. März 1959 im Glückwunschbrief zu der launigen Bemerkung verleitet: 

Es sind ja Blinde dabei. Einer von ihnen muß gesehen haben - vielleicht sogar mehrere.

Es folgen 1959/60 die Poetik-Dozentur, 1964 der Büchner-Preis und 1968 der Österreichische Staatspreis sowie 1971 der Anton-Wildgans-Preis der Vereinigung Österreichischer Industrieller.

Die Welt, die Männer lagen ihr zu Füßen, doch das, was sie sich wünschte, konnte ihr niemand geben.

Einer, der die Situation dieser jungen Lyrikerin sehr gut einschätzen konnte, aber nicht unbedingt zu ihrem Fanclub gehörte, war Marcel Reich-Ranicki, der allerdings erst im Jahr 1958 aus Polen nach Deutschland zurückkam.

Zu Beginn der 2000er Jahre hatte er in der mehrteiligen Sendereihe "Lauter schwierige Patienten" des Südwestrundfunks im Gespräch mit SWR-Intendant Peter Voß zwölf deutschsprachige Schriftsteller*innen des 20. Jahrhunderts porträtiert und dabei aufschlussreiche, höchst unterhaltsame Episoden und Anekdoten zum Besten gegeben. Er hat sich auch sehr gut an die junge Kärntnerin Bachmann erinnert. 

Seine leicht ins Paternalistische abrutschende Diktion kann man bedauern, jedoch erfährt man auf sehr unterhaltsame Weise, wie er selbst die Dichterin einordnete und einordnet. Er ist ja beim Kennenlernen nur wenige Jahre älter gewesen als sie.

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