Die Natur, der Faschismus, der Literaturnobelpreis*

06.02.2020

Grazia Deledda wurde kritisiert für die eingeschränkte Themenvielfalt ihrer Romane, aber hoch gelobt für ihre Landschaftsbeschreibungen. Und die klingen tatsächlich ganz frisch und modern und manchmal sogar ein bisschen wie aus einem Reisekatalog. Wie hier in DAS GEHEIMNIS:

Hinter dem Binsengebüsch, das wie ein Kornfeld im sanften Winde wogte, ragte eine Reihe Klippen steil und dunkel in den zartblauen Himmel. Kleine, schaumgekrönte Wellen bewegten sich hüpfend von allen Seiten auf sie zu, wie viele winzigkleine weiße Kaninchen. Hurtig schlüpften sie in alle Spalten und Ritzen (...)

oder

Ohne breiter zu werden, ohne den Farbton zu wechseln, führte die helle, aufgeweichte Straße durch das kleine Dorf und verlor sich schließlich zwischen dem Strand und einer Fläche bebauten Landes. Am Ufer des Meeres erhoben sich schmucke, weiße Sommerhäuschen, mit blühenden Oleandersträuchern in den kleinen Gärten davor, während das Dorf selbst nur aus ärmlichen, niedrigen, grauroten Fischerhütten bestand, mit weit geöffneten Türen und einem kleinen Laden hinter jeder Tür. In der Luft mischte sich der Duft von frisch gebackenem Brot mit dem Tang- und Fischgeruch des Meeres.

Da bekommt man Lust auf Urlaub - aber hört auch Kritik mit. Da liegt ein Ort hinter den sonstigen Standards zurück: Eine befestigte Straße wäre besser als eine aufgeweichte - und es wäre schöner, wenn die Fischerhütten nicht ärmlich, sondern genauso schick wären wie die Sommerhäuschen.

Im Metzler Autorinnen Lexikon zitiert Annette Riedel Grazia Deledda zur Situation auf Sardinien mit den Worten: 

(...) nur aus der Ferne können wir für Sardinien kämpfen und ihm von dieser Zivilisation geben, die auch wir leben.

Jetzt ist natürlich die Frage, kann sie aus der Situation als Literaturnobelpreisträgerin etwas beitragen zur Verbesserung der Lage auf Sardinien? Und das muss man wohl leider verneinen.

Ich habe im Netz eine englischsprachige Biografie gefunden: Grazia Deledda: A Legendary Life von Martha King.* Martha King ist anscheinend die Übersetzerin vieler Deledda-Romane ins Englische und wird deswegen Einblicke in persönliche Unterlagen gehabt haben. Das Buch ist allerdings im Selbst-Publishing-Verfahren herausgegeben worden. Ich kann nicht ausschließen, dass hier Wahrheit und Fiktion Hand in Hand gehen. 

 Trotzdem steht in etwa das drin, was nach dem kurzen Film, den ich schon am Anfang auf der Startseite in diesem Blog verlinkt hatte, irgendwie zu erwarten war: https://www.nobelprize.org/prizes/literature/1926/deledda/documentary/

Das Erleben rund um Auszeichnung und Preisverleihung kommt bei Grazia Deledda offenbar gar nicht gut an, es macht sie missmutig und sie versucht, dem zu entgehen.

Das Jahr 1927 hatte für sie schon mit vielen gesundheitlichen Problemen begonnen. Die wahre Ursache wurde von ihr gar nicht benannt. Sie klagte über Bronchitis, Rippenfellentzündung, Schmerzen im Ellenbogen, im Knie, über Magenschmerzen.

Dieses Jahr sollte ihr nun die größte Ehre für eine Autorin bringen - aber es bedeutete  unwillkommene Besuche von Journalisten, schwierige Fragen und das Haus voller Gratulanten. Das war nicht ihr Leben.

Ihr Mann und ihr Hausmädchen bemühten sich nach Kräften, wenigstens die Neugierigen von ihr fernzuhalten, wenn man schon die Journalisten reinlassen musste - und Artikel und Interviews in jeder Zeitung in Italien erschienen. Und Grazia Deledda verstand nichts vom Spiel mit den Medien.

Am 12. November 1927 gibt sie laut King der Zeitung La Tribuna ein denkwürdiges Interview. Auf die Frage, welches ihrer Bücher denn ihr Lieblingsbuch wäre, antwortete sie:

Ehrlich gesagt, mag ich nur das Buch, das ich gerade schreibe gerne. Und wenn's erst geschrieben ist, mag ich's nicht mehr. Ich will hier nicht bescheiden erscheinen, es ist schon eine Art Stolz. Aber so bald das Buch fertig ist, drückt es für mich nicht mehr das aus, was ich eigentlich sagen wollte. Und dann finde ich, es wäre besser, ein weiteres Buch zu schreiben.

Das ist nicht unbedingt das, was man von einer frischgebackenen Literaturnobelpreisträgerin hören möchte. Leser*innen nicht und Journalist*innen schon gar nicht.

Aber nun war, auch nach Aussage des Sekretärs der Akademie, Erik Axel Karlfeldt, gegenüber der Zeitung "Aftonbladet", ein/e italienische/r Autor*in dran mit dem Preis. Genderfragen sollen da keine Rolle gespielt haben, lediglich geografische.

Fast wäre dieser Kelch so wohl auch an Deledda vorbeigegangen. Die Gerüchte in Italien hatten nämlich den Namen Matilde Serao durch die Gegend getragen. Die war aber ein kritischer Geist und hatte sich "unglücklicherweise" in ihren Texten gegen Kriege im Allgemeinen ausgesprochen - und Mussolini hatte ihr deswegen schon im Vorfeld die eventuelle Annahme des Preises verboten.

Deledda wurde in diesem Zusammenhang selbst auch zu ihrer Stellung zum Faschismus befragt und distanzierte sich nicht von Mussolini. Stattdessen sagte sie wohl, sie liebe und verstehe den Faschismus, wenngleich sie der Partei nicht angehöre. Andere Äußerungen lassen dann auch wohl darauf schließen, dass sie 1927 unter Faschismus ein gesundes Familienleben und Liebe zur Heimat verstand.*

Allerdings: Der Präsident der Faschistischen Vereinigung in Rom hatte ihr wohl aufgetragen, der Bruder-Vereinigung in Stockholm Grüße zu übermitteln, und sie hatte dem wohl zugestimmt, um dazu mitzuteilen, dass sie von Politik keine Ahnung habe.

Das hatte dann natürlich auch wieder Folgen. Die schwedische Presse vermutete ab sofort nicht mehr, dass man mit Deledda intellektuelle Gespräche führen könnte oder sollte. Ein Artikel erschien entsprechend, da wurde sie als repräsentative Ehefrau, Hausfrau und Mutter vorgestellt - und als Expertin für Grünen Salat und Artischocken. Worauf dann alle Zeitungen anfingen, in die gleiche Kerbe zu schlagen - und sie als Berufs-Autorin gar nicht mehr wahrnahmen, trotz der hohen Auszeichnung.

Selma Lagerlöf, die auch bei den Feierlichkeiten anwesend war, muss das alles mit Entsetzen zur Kenntnis genommen haben. Über eine private Begegnung der beiden Preisträgerinnen wird auch laut der amerikanischen Biografin nichts berichtet.

Diese "kavaliersmäßige" Behandlung einer weiblichen Literaturnobelpreisträgerin aus Italien, so Martha King, könnte aber auch damit zutun gehabt haben, dass es in Schweden ebenfalls Gerüchte gab, hinsichtlich der neuen Preisträgerin. Da wurde der Name der Norwegerin Sigrid Undset gehandelt. Die kam dann ja tatsächlich auch dran, aber erst ein Jahr später, 1928.

Als Deledda am 8. Dezember 1927 in Stockholm ankommt zu den Feierlichkeiten, ist sie blass, müde, hat Kopfschmerzen und für niemanden ein Lächeln über. Sie hat offensichtlich Angst vor dem, was da auf sie zukommt und ist insgesamt überfordert mit der Situation.

Ihre Bankett-Rede fällt dann auch nicht annähernd so persönlich aus wie die von Selma Lagerlöf. Hier sinngemäß:

Ich weiß nicht, wie man Reden schreibt. So danke ich nur der Schwedischen Akademie für diese große Ehre, dass mein bescheidener Name als Auszeichnung für Italien dienen kann, und grüße hier nur, wie es die Schäfer Sardiniens unter Freunden und Verwandten schon immer bei besonderen Gelegenheiten halten:

Salute!

Salute dem König von Schweden!

Salute dem König von Italien!

Salute Ihnen allen, meine Damen und Herren!

Viva Schweden! Viva Italien!

Drei Monate nach der Preisverleihung muss Grazia Deledda die linke Brust amputiert werden. Die letzten knapp zehn Jahre ihres Lebens nutzt sie schreibend (und) auch zur Verarbeitung ihres eigenen Schicksals.


*Die Informationen zu diesem Text entstammen verschiedenen Quellen, deren Aussagen ich sämtlich nicht verifizieren kann. Es ist mein Versuch, der unbekannten Person Grazia Deledda - möglichst lesbar - ein Gesicht zu verleihen. Neben der Nobelpreissite, dem Metzler Autorinnen Lexikon, der Preisträgerinnen-Website, der Biographie gibt es auch noch einen Essay-Band, herausgegeben von Sharon Wood: The Challenge of the Modern, ebenfalls im Selbstverlag. Wer noch mehr und andere Informationen hat oder findet, ist herzlich eingeladen, sich hier zu beteiligen.

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