Disputationen | 2. Teil
Die Zeit: Montag, 10. September 1759 | Montag, 18. Tag des Monats Elul 5519
Der Ort: Kathedrale von Lemberg
Soweit man das sagen kann, führte die Disputiererei in Lemberg mehr zu Verwirrungen als zu Problemlösungen. Oder, um es mit dem Arzt Ascher zu sagen:
Diese Disputation ist nichts für den gesunden Menschenverstand.
Niemand versteht auch nur ein Wort.
Seine Frau Gitla, Mutter von Jakobs Sohn, möchte auch vor allem wissen, ob Jakob da war, als Ascher wieder zu Hause ist. Ascher ist ausweichend, denn für ihn ist Jakob Frank ein
Pflänzchen, das auf dem Fensterbrett in der Küche vor sich hin vegetiert.
Also der ist immer irgendwie da.
Gitla ist sowieso sauer, weil sie schwanger ist, jetzt von Ascher.
Ihr passt das ganze Leben nicht:
Zu viele Menschen, dreckige, stinkende Städte, kaum sauberes Wasser (...).
Ein Unglück ist diese regellose Vermehrung, dieses Gewimmel, wie Würmer im verdorbenen Fleisch (...)
Weniger Ungemach hätten die Juden zu leiden, wenn die Jüdinnen nicht immerfort Nachwuchs bekämen.
Für sich und alle Frauen überhaupt ist sie auf der Suche nach diesen kleinen
Kapuzen aus Schafsdarm für das männliche Gemächt, der Samen bleibt dann in der Kapuze, die Frau wird nicht schwanger.
In der Kathedrale sind die Themen anders am zweiten Disputationstag. Um 14 Uhr gehts los.
Um voranzukommen, will Mikulski jetzt, dass die Jakob-Leute These Sieben beweisen:
Die Gier nach Christenblut beim talmudischen Pöbelgesindel liegt nicht nur im Königreich Polen, sondern auch in fremden Landen klar auf der Hand (...) dass die Talmudisten unschuldiges Christenblut grausam vergossen (...). Hartnäckig wiesen sie stets alles zurück, in dem Wunsche vor der Welt sich reinzuwaschen (...).
Dann wird von den Contratalmudisten wortreich ausgeholt über roten Wein, rotes Blut, über gemetzelte Kinder. Über Punkte unter Buchstaben, über geheimes Zwinkern in den Texten. Alles richtig schön eindeutig zweideutig. Ob jetzt das Blut ist - oder nur des Blutes gedacht wird. Über die zehn ägyptischen Plagen - und ob die Wörter nur für die Plagen stehen oder es hinter ihnen eine geheimnisvolle Bedeutung gibt.
Da kann dann irgendwann niemand mehr mit. Draußen ist es heiß, die Luft in der Kirche verbraucht.
Dann kommt es noch zur Frage des Backens von Matze für Pessach, wo halt nach den alten mosaischen Regeln kein Sauerteig verwendet werden darf:
Es geziemt sich nicht, diese Matze zu mischen wie Matze für die Mizwa (mit Sauerteig), und sie zu backen im Beisein eines Fremden oder eines Tauben, oder eines Dummen oder eines Kleinen.
Da soll dann niemand dabei sein, damit der Teig nicht sauer wird. Fremde verstehen das so wenig wie Gehörlose. Dumme verstehen das so wenig wie Kinder. Aber die Contratalmudisten behaupten, niemand dürfe dabei sein, damit in Ruhe Christenblut untergemischt werden könne. Keine Zeugen bei der schäbigen Tat.
Dann geht es wieder um das Blut von Zweibeinern. Also Vögeln. Aber auch Menschen sind Zweibeiner. Und die listigen Contratalmudisten landen wieder bei den durch die Mose-Juden umgebrachten Kinder.
Bei den Rabbis kocht die Wut hoch. Sie rufen ihre Brüder im Glauben zur Ordnung. Wir Leser*innen wissen, dass die Rabbis recht haben, weil die Contratalmudisten diese Lügen erst in die Welt gesetzt haben. Das hilft den Rabbis aber nix.
Wann die Rabbiner die Kirche verließen - niemand hatte es bemerkt.
Es ist dann draußen sowieso schon wieder dunkel und man muss sich erneut vertagen.