Fred Vargas: Der Zorn der Einsiedlerin Im Original: Quand sort la recluse, aus dem Französischen übersetzt von Waltraud Schwarze

12.05.2020

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Ich habe eine Schwäche für spinnerte Gemüter, bei denen die Proto-Gedanken sich tummeln. (...) Das sind Gedanken vor den Gedanken, oder was Sie Ihre "Gasblasen" nennen. Embryonen die herumspazieren und sich alle Zeit lassen, die auftauchen und wieder verschwinden, und von denen die einen überleben, andere sterben werden.

Der Psychiater Martin-Pécherat hat sichtlich Freude an Kommissar Adamsberg, seinen Gasblasen, also seiner Art, sich Gedanken zu machen, und seinen Fällen. Adamsberg dagegen beneidet ihn um sein dröhnendes Lachen.

Jean-Baptiste Adamsberg ist eher klein von Statur, da klappt das nicht so mit dem Dröhnen. Er hat aber auch eine Gabe, um die ihn ein Psychiater beneiden könnte, er kann nämlich Menschen durch Berührung mit seinen Händen zum Einschlafen bringen.

Wobei der Fall, den er aktuell zu seinem erklärt hat, ihn selbst um den Schlaf bringen wird. Es geht augenscheinlich um Insekten. Es geht um Blapse, vor allem aber geht es um Reklusen. Genauer um "Loxosceles reclusa", wie man in Amerika sagen würde, die Franzosen sagen "Loxosceles rufescens", beide meinen dasselbe Tier: die Braune Einsiedlerspinne.

Was tut die Einsiedlerspinne?

Sie beißt, und das Pech war, dass es ein paar Alte getroffen hat. Sie sind daran gestorben.

Und warum hat es gerade alte Männer getroffen?

Ich glaube, es hat alle getroffen, aber man hat nur die Alten gesehen.

Das ist gar kein Fall. Der Kommissar könnte es nun bei dieser Information belassen. Am Biss der Einsiedlerspinne stirbt kein Mensch, maximal mit diesem Biss am Alter, wie das in unseren Tagen die besonders Spitzfindigen postulieren würden. Das ist eine Sache von Ärzten, Epidemiologen, Zoologen, nicht von Kriminalisten. Eigentlich. Denn das Thema mit den Spinnentoten eskaliert natürlich. Zuerst im Internet, dann in ganz Paris.

Und Adamsberg weiß da etwas, was kein anderer weiß. Er hat nämlich ein kleines, altes Haus dort in Paris und da gibt es als Nachbarn den alten Lucio; der hat im Spanischen Bürgerkrieg einen Arm verloren, weil er von einer Spinne gebissen wurde. Das hatte gejuckt wie Hölle, und ehe er fertig gekratzt hatte, musste der Arm amputiert werden und das Phantomjucken hat bis jetzt nicht aufgehört. Und Lucio hat eine Devise an Adamsberg weitergegeben: einen Biss nie in der Schwebe lassen, immer bis zu Ende kratzen, bis aufs Blut, sonst juckts ein Leben lang. Lucio kann er nun nicht fragen, der ist in Spanien auf Familienbesuch. Und Adamsberg lässt das Jucken keine Ruhe. Es geht hier nicht nur um tierisches Einsiedlertum.

Nun muss man über Adamsberg sagen, dass systematische Ermittlerarbeit ihm ein Graus ist. Er löst seine Fälle per Intuition, gerne beim Spazierengehen, beim Autofahren, bei einem Teller Garbure, der Suppe, die nur Menschen aus den Pyrenäen wirklich gerne essen. Adamsberg stammt aus den Pyrenäen.

Er arbeitet nun in Paris im 13. Arrondissement, leitet das etwas heterogene Team der Brigade criminelle: jeder einzelne ebenso skurril wie liebenswert. 

Sein Gegenspieler und Stellvertreter ist der Commandant Adrien Danglard. Ein Rationalist, ein Logiker, geradezu ein wandelndes Lexikon, alleinerziehender Vater von fünf Kindern. Und diese beiden können schon richtig kräftig aneinandergeraten. In diesem Spinnenfall geht das so weit, dass die Brigade criminelle unter so einem Aneinandergeraten fast auseinanderbricht - und Adamsberg auch an der Loyalität anderer Mitglieder zu zweifeln beginnt. Besonders an der von Retancourt, eigentlich seiner Allzweckwaffe, seinem Fels in der Brandung, seiner vielseitigen Göttin von 111 Kilo bei 1,84 m Größe.

Der Fall mit den Reklusen betrifft Adamsberg auch persönlich - und er muss zur Aufklärung wirklich sehr tief und sehr lange und sehr heftig kratzen und graben - und das alles unterhalb des Radars des Vorgesetzten, des Divisionnaires. 

Und das ist auch gut so, denn Adamsberg mit seiner Intuition fährt den Fall erstmal voll gegen die Wand.

Der Zorn der Einsiedlerin ist bereits der 11. Fall, den Adamsberg löst. Ich bin mit dem 10. Band eingestiegen, Das barmherzige Fallbeil, und war eigentlich von dem nicht so begeistert, weil er sehr undurchsichtig war, sehr viele Personen drin vorkamen und man sich mit der Französischen Revolution auskennen musste.

Dieser Spinnen-Krimi hingegen hat mich total zum Fangirl gemacht. Ich habe den auch nicht gelesen, sondern gehört.

Eingelesen wurde das Hörbuch kongenial von Volker Lechtenbrink. Seine einschmeichelnde Stimme erweckte den wirklich sehr interessanten Adamsberg erst so richtig zum Leben.

Klare Empfehlung fürs Buch - aber vor allem sämtliche denkbaren Punkte für die Audioversion!


Fred Vargas ist das Pseudonym der 1957 geborenen französischen Autorin Frédérique Audoin-Rouzeau. Das Schreiben ist bei ihr eher eine Freizeitbeschäftigung. Sie ist Archäologin und arbeitet weiterhin in einem Forschungsinstitut. Ihre Romane haben sich trotzdem millionenfach verkauft, sind internationale Erfolge und wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt.


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