Grazia Deledda in und aus dem Netz

10.02.2020

Ich war ja gestern doch ziemlich euphorisch, was den Roman "Das Geheimnis" betraf. Deshalb habe ich sicherheitshalber im Internet nochmal geforscht, ob es vielleicht doch andere deutsche Beiträge gibt, die meine Begeisterung teilen - oder vielleicht auch gar nicht. Meinungen zum Roman habe ich nicht gefunden, wohl aber zu anderen Werken.

Die drei Sachen, die ich gefunden habe, inklusive Film! stelle ich hier (fast) unkommentiert vor.

Zuerst eine Rezension in der FAZ aus dem Jahr 1995. Da klingt das alles ein bisschen schwurbelig, teilt aber meine Einschätzungen, glaub ich:

Die große Duse war siebenundfünfzig, als sie noch einmal in einem Film eine der unwiderstehlichen Frauen Grazia Deleddas spielte, eine dieser Frauen, die, so sagen wir uns, nur unter Korkeichen und Efeu gedeihen, in Geschichten aber, die mit der Wahrheit über das, was in Menschen vorgehen kann, so unmittelbar auch unser Herz treffen, daß wir glauben, in Sardinien, unter den Korkeichen, da seien wir eigentlich alle geboren, wenn wir wirklich leben. So hingesagt, klingt das sentimental. 

Auch die Autorin, 1871 dort auf Sardinien wirklich geboren, lebte dann seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts, mit dem sie berühmt wurde, in Rom, und schrieb in der Großstadt die wilde Welt auf, für deren Schilderung sie 1926 den Nobelpreis kriegte (sie starb 1936). Man wird sentimental, wenn man sich einfach denkt, zurück unter die Korkeichen; aber wenn Grazia Deledda, die dort Großgewordene, ihre Geschichten erzählt, hier die des reichen schönen Mädchens, das, egal, was daraus wird, einen Banditen will, dann vergißt man sich selbst.

 Die Seele lebt ein und zwei Leben, in die sie niemals selbst geraten wäre, und läßt uns nun sehen, wie beschränkt wir sind, selbst wo wir uns unabhängig glauben für unsre Verhältnisse, und läßt uns ahnen, ja, wir wissen nicht genau: was eine andre Welt auch aus uns hätte machen können? was wir sein könnten, wenn wir wirklich lebten? wie groß es sein muß, unbedenklich dem zu folgen, was auch wir doch wollen könnten, wenn wir's einmal auf die Freiheit ankommen ließen? Ach, schwer zu sagen das alles, ohne sentimental zu werden, und wir sind ja nun einmal nicht aus Sardinien, das ist wahr. 

Aber noch ziemlich lange leuchtet der Mond, nach dem wir nun doch manchmal sehn, anders als sonst auch hier. 

(Grazia Deledda: "Marianna Sirca". Aus dem Italienischen übersetzt von F. Gasbara, überarbeitet und mit einem Nachwort versehen von Ute Stempel. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1992. 221 Seiten, br., 9,80 DM.) R.V.

Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/rezension-belletristik-1915-11300248.html

Oh, da wurde ein Film genannt. "Die Duse" und "La Deledda", wie sie in Italien genannt wurde, an einem gemeinsamen Projekt? Hier kann man den Film ansehen. Ein veristischer Film! (Cenere 1916):

 https://www.youtube.com/watch?v=op1X6P7e1BE


Bei Wikipedia wird das Geschehen im Film so zusammengefasst:

Rosalia Derios ist eine unverheiratete Frau in einem kleinen sardischen Dorf. Sie ist die Geliebte eines verheirateten Mannes, der ihr ein Kind macht, das Rosalia Anania nennt. Da sie sich nicht angemessen um ihren Sohn sorgen kann, überlässt Anania ihn schweren Herzens ihrem Verführer. Ehe sie Anania verlässt, übergibt Rosalia dem Jungen ein "heiliges" Amulett, das ihn auf seinem Lebensweg stets beschützen soll. 

Anania wächst in seinem Vaterhaus zu einem stattlichen, jungen Mann heran und plant eines Tages seine Hochzeit mit einem Mädchen aus wohlhabendem Hause. Kurz zuvor begegnen sich Mutter und Sohn, der lange nach Rosalia gesucht hatte, endlich {nach langer} Zeit wieder. Doch diese Wiederbegegnung bleibt nicht ohne Konflikte, zu viele Dinge, Fragen und Vorwürfe haben sich in all den vergangenen Jahren aufgestaut. 

Auch Rosalia hat große Probleme damit, zu akzeptieren, dass aus ihrem Baby von einst mittlerweile ein erwachsener Mann geworden ist. Anania sieht es als seine Pflicht an, seine Mutter zu sich zu nehmen, auch wenn seine Zukünftige strikt dagegen ist. Und so möchte Rosalia dem Eheglück ihres wiedergefundenen Sohnes keinesfalls im Wege stehen und tötet sich, in einem letzten Akt der Selbstaufopferung, aus diesem Grund selbst. Anania steht vor dem Leichnam seiner Mutter und öffnet erstmals das Amulett von einst, das Rosalia ihm einst umgehängt hatte: In ihm befindet sich lediglich etwas Asche.


Die Verfilmung umfasst das letzte Kapitel aus dem gleichnamigen Roman von Deledda (1903); Asche, dt. E. Berling (1907).

Zur Rezeption des Films heißt es bei Wikipedia:

Reclams Filmführer schrieb zu Cenere: "Die Filmvision ... war - trotz des Mitwirkens der Duse - wenig erfolgreich. Einer der Gründe für den Mißerfolg mögen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Regisseur und der Hauptdarstellerin gewesen sein: Mari wollte einen regelrechten "Starfilm" drehen, während die damals sechzigjährige Duse an einen "modernen" Film im Stil von Griffith dachte."

Eleonora Duse selbst war mehr als unzufrieden mit dem fertigen Produkt. In einem Brief an ihre französische Kollegin Yvette Guilbert äußerte sie ihre Bitte, sich "diese dumme Sache" lieber nicht anzuschauen, denn "du wirst nichts oder fast nichts von mir darin finden".

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Cenere_(1916)


Dann fand ich noch einen Blogbeitrag aus dem Jahr 2012 zum Roman "La Madre". Das ist ja der Roman, für den die Deledda hauptsächlich mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde:

La madre handelt von einem jungen Priester, Paulo, seit sieben Jahren im Amt, in einem kleinen sardinischen Dorf. Grazia Deledda war eine "erdgebundene" Dichterin und ihre Heimatverbundenheit blieb auch, als sie in Rom lebte und durchzieht ihr gesamtes literarisches Werk.

Paulos unlösbarer Konflikt ergibt sich aus seiner Leidenschaft zu Agnes, seinem Amt als Priester und seiner Liebe zu seiner Mutter. Deledda beschreibt sechsunddreißig Stunden, von Freitagabend bis Sonntagmorgen, "das wie ein antikes Drama aufgebaute Geschehen".

"Dieses Weinen war ein einziger Aufschrei aus Liebe, Hoffnung und Sehnsucht nach einem jenseitigen Gut gewesen. Jetzt, in der Stunde der Angst, spürte die Mutter ihn aus der Tiefe des Herzens wieder emporsteigen. Ihr Paulo! Ihr Paulo! Seine Liebe, seine Hoffnung und seine Sehnsucht nach dem jenseitigen Gut raubte ihm jetzt der böse Geist; und sie war hier, am Fuß der Treppe, wie auf dem Grund eines Brunnenschachts, ohne auch nur einen Versuch zu seiner Rettung machen."

1920 erschien dieser Roman, daß der Klappentext ein zeitloses und eindringliches Dokument über den Zölibat nennt, der die "Gewissen verzerrt und ängstigt", wie Uta Ranke-Heinemann in ihrem Nachwort schreibt. In diesem Nachwort lästert Uta Ranke-Heinemann noch mal so richtig stark gegen das Zölibat ab!

Der Stil und die Sprache, in der Grazia Deledda , die 1926 als zweite Frau, den Nobelpreis für Literatur erhielt, ist schlicht und einfach, kraftvoll und schnörkellos. Kein Wort zuviel, keines zu wenig, das Wesentliche eben!

"Auch er spürte in diesem Augenblick, mit einem Gefühl von Ekel und Trunkenheit zugleich, etwas schreckliches und Großes in sich wachsen: Er begriff zum erstenmal mit vollem Bewußtsein, daß er eine Frau mit fleischlichem Begehren liebte und daß ihm diese Liebe Freude bereitete."

Das Paulo durchaus auch scheinheiliger Verführer war, und nicht nur ein Opfer des Teufels, schreit ihm Agnes, die Geliebte, ins Gesicht: "Alle Männer sind Lügner."

Die Rolle der Mutter ist in diesem Drama eine ganz wesentliche und beschränkt sich nicht nur auf das reichen von Keksen und Tee. Sie hinterfragt alles und leidet wohl am meisten.

"Und sie erinnerte sich, daß auch damals, als Paulo gerade zum Pfarrer ernannt worden war, nachdem sie zwanzig Jahre lang als Magd gearbeitet, jedem Drang nach Leben widerstanden und auf Liebe und Brot verzichtet hatte, nur um ihren armen Jungen großzuziehen und ihm ein gutes Beispiel zu geben, ein solch wütender Wind sie im Dorf empfangen hatte."

Der Showdown ereignete sich in der Sonntagsmesse. Mit einem unerwarteten Ende, so wie es sich gehört.

"La madre"

Grazia Deledda

1920 italienische Erstausgabe

1994 die deutschsprachige Ausgabe bei Arche Verlag AG, Zürich-Hamburg

Die Textzitate sind aus dieser Ausgabe

Quelle: https://harrymeder.blogspot.com/2012/05/grazia-deledda-la-madre.html?spref=bl


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