Literaturnobelpreis 1945: Gabriela Mistral

01.05.2020

Foto public Domain: Gabriela Mistral


Der verlorne Wein


Einmal hab ich

(ich weiß nicht mehr unter welchen Himmeln),

als Opferung an das Nichts, 

in das Weltmeer  hinunter 

Wein geschleudert in einem Schwung...


Wer verlangte deinen Verlust, Tropfen? 

Hieß es ein Seher gut? 

Oder hat nur mein Herz so gemußt, 

meint ich, den Wein vergießend, Blut?


Gleich und schon wieder wie immer

klärte durchscheinender Schimmer

vor mir das Meer, drin es rötlich verrinnt...


Weg der Wein, doch die Wellen sind trunken!...

Und da seh ich den herberen Wind

von Gestalten der Tiefe durchwunken


Dieses Gedicht, das hat bestimmt  jede*r schon gemerkt, ist natürlich NICHT von Gabriela Mistral. Es stammt vom französischen Dichterfürsten Paul Valéry. Die Übersetzung ins Deutsche übernahm dabei kein Geringerer als Rainer Maria Rilke. 

1945, die Welt lag in Schutt und Asche, war für die französischen Literaturprofessoren klar: Paul Valéry, bedeutendes Mitglied der Französischen Akademie, seit 1930 bereits zehnmal vorgeschlagen, sollte mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet werden.  Die Schweden reagierten zögerlich, zu schwer verständlich der Charakter seiner Dichtung. Also vielleicht den Preis aufteilen. Hin und her ging es, da wurden die vermeintlichen Entscheider der Entscheidung enthoben, der designierte Dichter war unglücklicherweise verstorben. Eine postume Ehrung hatte es schon mal gegeben, war nach den Statuten auch erlaubt - aber im Fall von Erik Axel Karlfeldt beim Publikum nicht gut angekommen.

So wurde der Weg frei für die chilenische Dichterin Gabriela Mistral. Die war ihrerseits bereits seit 1940 vorgeschlagen worden - und nicht nur von der philosophischen Fakultät in Santiago de Chile - sondern von allen möglichen vorschlagsberechtigten Institutionen in praktisch ganz Lateinamerika. Sie sei möglicherweise "die größte Dichterin aller Zeiten", so wurde argumentiert.

Nun war sie nicht nur das, sondern vertrat seit 1926 Chile im, dem Völkerbund unterstellten, Institut für geistige Zusammenarbeit. Später dann sogar als  Konsularbeamtin in Spanien, Frankreich und Italien.

Wie das zu all dem kommen konnte, obwohl sie als Lucila als "geistesschwach" von der Schule verwiesen worden war, um sich dann als Autodidaktin weiterzubilden und mit nur 15 Jahren sogar Hilfslehrerin an einer Landschule zu werden, wird in den kommenden vier Wochen zu klären sein.

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