Milchmann: Und wie wars nun?

10.03.2020

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Milchmann von Anna Burns ist ein sehr distanzierter Roman. Das merken Lesende ab der ersten Zeile, mit der die Geschichte ja praktisch auch schon erzählt ist. Die Beteiligten: Ein McIrgendwas, ein ich, ein Milchmann und eine Waffe. 

Diese Distanz wird erst ganz zum Schluss ein wenig aufgehoben werden, wenn die Ich-Erzählerin, deren Namen wir auch dann nicht erfahren, "beinahe fast" gelacht hätte.

Worum es geht? Es geht um die Vermeidung von jedweder Sentimentalität in einer gespaltenen Welt, die jeder und jedem einen persönlichen Stempel aufdrückt. Der Stempel bleibt für immer und immer: Das Mädchen, das im-Gehen-liest, Tablettenmädchen, Atomjunge, der Mann, der niemanden liebte, Chefkoch, Milchmann - und alle Abspaltungen von den Genannten.

Ist das alles glaubhaft?

Den Rahmen des Glaubwürdigen zu sprengen (...) darum schien es im Leben zu gehen, 

sagt die ich-Erzählerin und McIrgendwas sagt:

(...) die Versuchung, dem Animalischen, den Urgewalten zu erliegen, war in Zeiten des blutigen Konflikts oft stärker als die emporstrebende Seite des Menschen.

Hier sind erstmal Hopfen und Malz verloren. Es ist eine Welt, in der der Freund keinem Freund traut, der Vater keinem Sohn - und besonders Frauen am besten überhaupt niemandem. Denn die Konfliktsituation ist so überdimensional, dass persönliche Gefährdungen gar keine Rolle mehr spielen. Halte die Regeln ein, die die Gesellschaft für dich erfunden hat, dann passiert dir auch nichts. Ist dir was passiert, bist du nun selber Schuld.

So weit alle zurückdenken können, ist es bisher niemandem gelungen, die Fixierungen loszulassen, die immer nur wieder Hass und Gewalt schüren. Niemandem? Nein, das stimmt nicht:

Das internationale Tanzpaar, das alles hat stehen und liegen lassen, das gegen jede, wirklich jede Regel verstoßen hat, gibt zum Schluss allen Hoffnung, besonders aber denen, die jünger als zehn Jahre sind. Denn die dürfen noch etwas ausprobieren, sie sind zu jung für die übliche "Denunziantenbestrafung", zu jung für die Parole "Denunzianten ans Messer", zu jung für Distanziertheiten. Sie versuchen noch, die Sichtweise der "Anderen" nachzuvollziehen. Ihnen gehört die Zukunft, wenn alles gut geht.

Der Konflikt, so weit es denn um die Frage von Nordirland geht, ist bis heute nicht gelöst. Maximal ist er eingefroren, jedes Tauwetter kann ihn wieder lebendig werden lassen. Vieles wird von dem abhängen, was die Unterhändler aus dem Brexit herausholen. Gibt es eine harte Grenze mit Grenzposten und Grenzhäuschen, wird das Grauen wohlmöglich zurückkehren. Dann wird garantiert wieder niemand mehr einen Grund haben, "beinahe fast" zu lachen.

Der Roman ist groß. Um ihn zu bezwingen, braucht es Durchhaltevermögen und ein Sich-Einlassen auf  experimentelle Sprache. Möglicherweise hat Anna Burns sogar die einzig angemessene Art gefunden, sich einem Konflikt dieses Ausmaßes schreibend zu nähern. Es lohnt, sich drauf einzulassen.


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