Mit Jakob leben - durch Jakob sterben

25.01.2020


Die Zeit: Sommer 1759

Der Ort: Iwanie


Rabbi Nachman versucht, nach acht Monaten in Iwanie, den teilweise doch recht krausen Ideen und Riten des Jakob Frank einen tröstlichen religiös-philosophischen Rahmen zu verleihen. Bestehend aus einer Art von geheimen Lehrsätzen. Jakob darf das gar nicht wissen. Wir brauchen keine Neunmalklugen ist einer von Jakobs Leitsätzen:

(...) Vollkommenheit braucht keinen Wandel. Vollkommenheit ist reglos und erhaben, sie kennt keine Bewegung.

Für uns aber, die wir von unten aus der Schöpfung schauen und von Weitem, wirkt diese Reglosigkeit wie tot, und das betrachten wir als böse (...).

Für uns Menschen ist also das Gute etwas anderes als für Gott.

Für uns ist es die Spannung zwischen Gottes Vollkommenheit und seinem Rückzug, mit der er der Welt den Raum gegeben hat, dass sie entstehe.

Für uns ist das Gute die Abwesenheit Gottes dort, wo er sein könnte. (...)

Wer sich nicht nach oben bewegt, bleibt stehen, vielmehr er fällt in die Tiefe. (...)

Iwanie musste uns gegeben werden (...). Denn hier in Iwanie sind wir frei. (...)

Wer sein Stückchen Land hat, wird unsterblich. (...)

Und in Jeremia 1,14 heißt es wenn die Erlösung komme, komme sie von Norden her, dort nehme alles seinen Anfang - in Polen und in Litauen.

Letzteres berechnet er durch eine kabbalistische Formel.

Nachman liebt Jakob, deswegen trägt er alle Ideen mit, hat aber auch leise Zweifel:

Denn in dieser Zuneigung zu ihm erteile ich ihm mehr Freiheiten und Privilegien als irgendeinem anderen Menschen sonst. Doch fürchte ich mich auch, in eine blinde, übertriebene Liebe zu verfallen, die nicht mehr zuträglich wäre.

Zu allem gibt es natürlich auch eine Gegenwelt.  Viele wollen einfach nur Juden sein und trotzdem ein menschenwürdiges Leben haben. Sie glauben nicht, dass eine Taufe ihnen helfen wird:

Wir werden immer Juden bleiben.

Juden im Eigenen. Wie schön das wäre!

Im eigenen Sinne leben.

Niemandem Rechenschaft ablegen müssen,

und keinen Herrn mehr über sich.

Keine Angst vor den Kosaken,

mit der Kirche in gutem Einvernehmen.

Land bebauen.

Handel treiben.

Kinder bekommen.

Einen eigenen Obstgarten haben,

ein eigenes Lädchen,

und sei es noch so klein.

Hinter dem Haus Gemüsebeete,

pflanzen, säen, ernten,

was man braucht.

Doch das kann es nicht geben im Sommer 1795 für die Leute in Iwanie, wenn sie sich nicht taufen lassen, ihre Namen abgeben, zukünftig nicht mehr jiddisch, sondern polnisch sprechen.

Es gibt ein neues Wort dafür: Zwangskonversion.

Wie Sterben wäre es,

sagt der Schreiber Pinkas,

nein schlimmer noch als Sterben.


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