Patricia Highsmith | Der süße Wahn (2021)

21.02.2021

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Zum Hundertsten Geburtstag von Patricia Highsmith hat der Schweizer Diogenes Verlag, der ja überdies seit dem Jahr 2002 an der Werkausgabe der Grande Dame des Psychologischen Krimis feilt, einigen "Highsmiths" besonders hübsche neue Kleider spendiert. Zu einer dieser Neuausgaben gehört der 1960 im Original als This Sweet Sickness erschienene Roman Süßer Wahn, den wir nun gerade gemeinsam in der Diogenes Backlistlesegruppe gelesen haben.

Es geht um den etwas schrulligen Chemiker David Kelsey, der unter der Woche möbliert in der New Yorker Pension von Mrs McCartney wohnt, um dann am Wochenende für seine Mutter da zusein, die im Pflegeheim ihre letzten Tage verbringt.

Dave ist

der ideale Untermieter, ein feiner junger Mensch, "einer wie man ihn unter Tausenden bloß einmal findet". Er rauchte und trank nicht, und empfing Damenbesuch nicht einmal vor zehn Uhr abends (...)

Er ist quasi ein Heiliger, wenn dies alles denn der Wahrheit entspräche.

In Wirklichkeit verlässt der Achtundzwanzigjährige jeden Freitagabend aber nicht nur die Pension, sondern auch Dave. Als William Neumeister fährt er in sein Haus auf dem Land, um dort gemeinsam mit Annabelle, seiner großen Liebe, das Wochenende zu verbringen.

Wenn es denn so wäre. Das Problem, vor das sich Dave-William Kelsey-Neumeister gestellt sieht, ist, dass Annabelle (bereits zwei Jahre, bevor wir von ihr hören), einen Herrn namens Gerald Delaney geheiratet hat und Mutter geworden ist.

David flüchtet sich seitdem in eine phantastische Traumwelt, in der der erfolgreiche William Neumeister alles das hat, was der Chemiker Dave um jeden Preis erhaschen möchte:

Warum sich nicht, eine Zeit lang wenigstens, vorstellen, dass sie gar nicht stattgefunden hatte, Annabelles Hochzeit, die fraglos ein schrecklicher Fehler war. Warum sich nicht die beseligende Vorstellung gönnen, Annabelle hätte ihn geheiratet.

Nun bleibt es unglückseligerweise nicht bei den Träumen, sondern Dave versucht in einigermaßen rücksichtsloser Manier, seinen Traum zum Leben erwachen zu lassen . Das aber kostet Menschen das Leben.

Die Geschichte ist ganz schön abgefahren. Der Trick, den Patricia Highsmith anwendet, ist, dass sie ihren Erzähler immer wieder die sich mehr und mehr verschiebende Weltsicht von David einnehmen lässt. Ich muss gestehen: Am Ende war ich erleichtert, dass es vorbei war, ich aus der Wahnwelt gerettet und nicht im Irrenhaus gelandet bin.

Teil des neuen Roman-Kleidchens ist im übrigen das Nachwort. Zur Werkausgabe werden ja auch die Diaries/Notebooks, also die Tage- und Notizbücher der Autorin weltweit erstmalig erscheinen. Im kommenden Herbst soll das sein. Und der Mitherausgeber, Paul Ingendaay, lässt die Leser in diesem Nachwort schon mal einen Blick reinwerfen.

So erfährt man, was man früher nie wusste, dass Patricia Highsmith in ihren Romanen auch Biographisches verarbeitete.

Im Sommer 1958 verliebt sich Patricia Highsmith in eine Frau, die mit einer anderen zusammen lebt. Für ihren siebten Roman, Der süße Wahn wird das ungeahnte Auswirkungen haben (...).

Wie die verschiedenen  Liebesformen gegeneinander aufgewogen werden, im Privaten und im Buch, über den Geisteszustand von Patricia Highsmith Ende der 50er Jahre und über noch vieles mehr, klärt Ingendaay kundig auf.

Wer also die alte Ausgabe schon besitzt, sollte die neue unbedingt trotzdem kaufen und lesen, weil über das Nachwort ein ganz neuer Zugang zum Roman möglich wird.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christa E. Seibicke. Diogenes Taschenbuch, Zürich 2021.
443 Seiten, 13 Euro. ISBN 978-3-257-24574-5.


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