Sigrid Undset - Die Selbstbestimmte

11.03.2020

Foto: By Aage Remfeldt / Aage Rasmussen (1889-1983) - https://nobelprize.org/nobel_prizes/literature/laureates/1928/undset-autobio.html, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6282108


Kristin Lavranstochter geht ja in der ersten Phase ihrer Entwicklung einigermaßen selbstbestimmt durch ihr Leben - und das kann man von ihrer geistigen Mutter, Sigrid Undset, auch sagen. Diese war sogar noch früher sehr entscheidungsfreudig.

Auf der Website der Nobelprizeorganisation findet sich folgender biographischer Eintrag:

Mein Vater starb 1893 und Frau Nielsen (Pädagogin, Vorsitzende der Vereinigung für Frauenrechte in Norwegen und Leiterin einer teuren und progressiven Privatschule) bot meiner Mutter für uns alle drei Kinder eine kostenlose Ausbildung an. 

Dann, als ich ungefähr vierzehn war, passierte etwas Denkwürdiges. Frau Nielsen rief mich in ein leeres Klassenzimmer und sagte mir, obwohl sie ihr Versprechen an meine Mutter halten wollte: «Sie, liebe Sigrid, zeigen so wenig Interesse an der Schule und es gibt so viele Kinder, die es sehr begrüßen würden, an Ihrem Platz zu sein und eine kostenlose Ausbildung zu genießen, daß ich Sie jetzt frage: Sind Sie sicher, dass Sie Ihre Aufnahmeprüfungen ablegen möchten? »

«Nein, danke», war meine Antwort. Frau Nielsen sah etwas erschrocken aus, aber alles, was sie sagte, war: 

«Nun gut, Sie müssen jetzt wie ein Erwachsener über Ihre Zukunft entscheiden». 

Ich befürchte, dass mein Verhalten an diesem Tag eher dem eines kleinen Tieres ähnelte!

Frau Nielsen war so gut wie ihr Wort, wenn es um meine Schwestern ging, aber dies war eine der wenigen Entscheidungen in meinem Leben, die ich nie bereut habe.

Meine Mutter hatte nun keine andere Wahl, als mich auf eine Handelsschule in Christiania zu schicken. Es hat mir dort nicht gefallen, aber es hatte einen großen Vorteil gegenüber meiner alten Schule: Niemand dort erwartete, dass ich es mochte, dort zu sein!

Später arbeitete ich in einem Büro und lernte unter anderem, Dinge zu tun, die mir nicht wichtig waren, und sie trotzdem gut zu machen. Ich blieb zehn Jahre dort - vom 17. bis zum 27. Lebensjahr. Bevor ich dieses Büro verließ, waren bereits zwei meiner Bücher veröffentlicht worden - Fru Marte Oulie im Jahr 1907 und Den lykkelige Erle (Das glückliche Alter) im Jahr 1908. Nachdem ich das Büro verlassen hatte, ging ich mit einem Stipendium nach Deutschland und Italien.

1912 heiratete ich in Belgien den norwegischen Maler A. C. Svarstad. Ich wurde 1924 in die römisch-katholische Kirche aufgenommen und meine Ehe wurde dann aufgelöst, da mein Mann zuvor mit einer Frau verheiratet war, die noch lebt. Wir haben drei Kinder.

Seit 1919 lebe ich in Lillehammer.

Um so erstaunlicher ist es, dass Sigrid Undset, als alleinerziehende Mutter von drei Kindern, und ohne jemals eine Hochschule besucht zu haben, zu einer der führenden Autor*innen Norwegens werden konnte. Und umso bedauernswerter finde ich es, dass sie außerhalb Norwegens praktisch in Vergessenheit geriet.


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