T.C. Boyle | Sprich mit mir

22.02.2021

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Ich bin ein Kind der 70er Jahre - und mit unendlich vielen Tieren aufgewachsen, für die es vorgeblich nichts Schöneres gab, als mit dem Menschen zu interagieren. Lassie, Skippy, Flipper, Cheetah, Clarence, Black Beauty - und wie sie alle hießen. Gerne hätte ich gewusst, was so in diesen Tieren vorging, die so klug waren, dass sie es locker mit ihren Besitzern und Pflegerinnen aufnehmen konnten. Ach, könnten die doch sprechen. So mögen außer mir auch zahlreiche Psychologen gedacht haben.

Aber Pustekuchen. Bereits in den 40er und 50er Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts scheiterten in den USA viele Versuche, den nächsten Verwandten des Menschen, Schimpansen und Orang-Utans, das Sprechen beizubringen. Mehr als "Mama", "Papa", "cup" und "up" bekamen auch die gelehrigsten Tiere nicht heraus. Der Denkfehler der Forscher war, na klar, Sprachfähigkeit mit Lautsprache gleichzusetzen.

Schimpansen benutzen im richtigen Leben eine umfangreiche Kommunikation, die aus Mimik, Gestik und Lauten besteht. Lautsprache ist aber nicht ihr Ding. Sie haben eine ziemlich dünne Zunge, einen kleinen Rachenraum, und ihr Kehlkopf liegt ziemlich hoch. Sie sind eben Affen, keine Menschen.

Im Jahr 1967 hatte der amerikanische Psychologe Roger Fouts einen Gedankenblitz - und eine Schimpansin zur Verfügung. Washoe, so ihr Name, lernte mit der amerikanischen Zeichensprache ASL zu gebärden. Zwischen ihr und Fouts kam es zu einer innigen Freundschaft. Der Höhepunkt war erreicht, als sie mit den Händen sagte: BAUCH, KIND. Sie war schwanger und wusste es eher als er. Sie lehrte ihr Junges Gebärdensprache - alle von Fouts in der Gefangenschaft gehaltenen Schimpansen lernten zu gebärden - sie konnten sich auf diesem Wege sowohl miteinander als auch mit gehörlosen Kindern unterhalten.

Mitte der 90er Jahre hatte Fouts dann das CHIMPANZEE AND HUMAN COMMUNICATIONS INSTITUTE in Washington gegründet, aus dem die letzten Tiere erst 2003 auszogen..

Dieses Institut mag Pate gestanden haben für das 

noch im Aufbau begriffene Primatenforschungsprogramm der UCSM, 

an dem der amerikanische Autor T.C. Boyle seine Geschichte um Sam, den sprechenden Schimpansen, spielen lässt.

Der für das Programm an der UCSM zuständige Privatdozent Dr. Schermerhorn geht dabei noch einen Schritt weiter, als es der echte Psychologe Foust getan hat. Der Schimpanse Sam, der tatsächlich auch nicht die Lautsprache, sondern die Gebärdensprache beherrscht, lebt gemeinsam mit ihm und verschiedenen Hilfskräften auf einer extra dafür eingerichteten Farm. Sam trägt niedliche Klamotten, isst, was die Menschen essen, ist weder einem Glas Wein noch einem anständigen Joint gegenüber abgeneigt. Was für ein Affenleben!

Die Geschichte kommt in Gang, als Schermerhorn die Einladung zu einer Fernsehshow annimmt, um seinen sprechenden Affen vorzuführen, was wiederum der Bekanntheit des Projekts, vor allem aber dem Hervorlocken finanzieller Mittel zum weiteren Aufbau des Programms dienen soll. In ihrem Studierendenzimmer sieht die prokrastinierende Studentin Aimee die Show (nein, nicht Letterman!) , und beschließt darauf, Mitarbeiterin des "Affenprofessors" zu werden, studiert sie doch an der gleichen Universität, an der Schermerhorn lehrt.

T.C. Boyle war 37 Jahre lang selber Lehrender, er kennt das Campusleben wie kein zweiter Autor - und so kommt alles, wie man es erwarten darf: Aimee wird engste Mitarbeiterin Schermerhorns, schläft mit ihm - und liebt Sam. Es geht was schief - und Aimee fasst einen superverrückten Plan. Das ist die Geschichte. Sie wird einmal vorwärts erzählt aus der Menschensicht - und einmal rückwärts aus Schimpansensicht. Mir gingen besonders die Szenen nahe, in denen Sam begreift, dass er kein Mensch, sondern einer von den eigenartigen "Käfern" ist.

T.C. Boyle liebt es, sich in verschiedene Bewusstseinsformen hineinzudenken. Gerade heute war in den Zeitungen zu lesen, dass er erwägt, auch einmal aus der Perspektive eines Virus zu berichten.

Der Autor, in Santa Barbara beheimatet, ist nicht nur ein ungewöhnlich freundlicher, zugänglicher und witziger Mensch, was er immer wieder live oder - wie jetzt nötig - in Livechats beweist. Er ist einfach ein versierter Erzähler. Alles sieht die Leserin quasi lebendig vor sich. Den Affen, der ein Primitiver ist, aber alles will, was wir alle auch wollen. Und drumherum die Menschen - voller Liebe - aber auch voller Angst vor dem Wilden, vor dem Ungewöhnlichen, was ein Affe unter den Menschen so mitbringt. Wir sind halt alle besser an Hunde, Katzen und Pferde gewöhnt, die uns auch sicherheitshalber eher nicht wissen lassen, was sie wirklich von uns halten.

T.C. Boyle und der Moderator Günter Keil. Und nein, so ernst wie der Schnappschuss vermuten lässt, war der Livechat nicht.


T.C .Boyle betonte am letzten Freitag im Livechat von Hugendubel, dass es ihm beim Schreiben um Freude und Unterhaltung geht. Er möchte keine Botschaft loswerden. Ihm genügt das Vergnügen, "Gott eines Universums" zu sein. Er sei sich klar darüber, dass in 100 Millionen Jahren die Menschheit nur als sehr dünne Linie in der geologischen Substanz zu finden sein wird. Depressiv machen wolle er aber niemanden.

Trotzdem gibt es nachdenklich machende Sätze im Roman wie

Wenn man ein Wesen in einen Käfig sperrte, machte man es zum Bettler (...)

Das geht nahe und schon wieder wünscht man sich, die Tiere teilten unsere Sprache, so dass die Menschen sie nicht einfach weiter als Sache behandeln könnten. 

Wenn ich an diesem gekonnt erzählten Roman eine Kritik habe, dann dass es zu wenig Überraschungen gibt. Alles kommt genau so, wie man es sich vorstellt, in dem Universum, in dem T.C. Boyle Gott ist.

Lesen!


Die amerikanische Originalausgabe Talk to me erscheint coronabedingt erst im Laufe des Jahres bei ecco. Übersetzung: Dirk van Gunsteren. ISBN 978-3-446-26987-3. Hanser Verlag München, 2021.


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